6. Oktober 2025

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Applaus für den Tyrannen?

Eine kurze Anleitung zum Mittäterwerden (und wie man den Ausstieg schafft)

Kennen Sie das? Der Kollege, der mal wieder die Lorbeeren für Ihre Idee einheimst und der Chef klopft ihm anerkennend auf die Schulter, während Sie danebenstehen und lächeln. Die Freundin, die zum fünften Mal das Treffen absagt, weil ihr Partner »einen schlechten Tag« hat und sie ihn nicht allein lassen will. Der Vorgesetzte, der vor versammelter Mannschaft brüllt, und danach kommen alle im Flur zusammen und sind sich einig: »Er steht halt unter Strom, meint er nicht so.«

Herzlichen Glückwunsch. Sie haben gerade das Phänomen des »Enablers« in seiner natürlichen Umgebung beobachtet. Vielleicht waren Sie sogar selbst einer. Vielleicht sind Sie es gerade jetzt.

Ein »Enabler«, ein Ermöglicher, ist die Person, die dem Tyrannen den Thron zimmert, dem Süchtigen den nächsten Drink kauft und dem inkompetenten Chef den Hintern rettet. Nicht aus Bosheit. Oh nein. Meistens aus den besten Absichten: aus Liebe, aus Loyalität, aus dem verzweifelten Wunsch nach Harmonie. Das Ergebnis ist nur leider immer dasselbe: Das Problem wird nicht gelöst. Es wird gefüttert.

Schauen wir uns also mal an, wie diese Architektur der Mittäterschaft funktioniert. Vom intimen Kammerspiel Ihrer Beziehung über das Großraumbüro bis auf die ganz große politische Bühne. Sie werden sehen, das Muster ist erschreckend universell.

Die Anatomie des unfreiwilligen Komplizen

Ein Enabler ist im Grunde ein Helfer, der falsch abgebogen ist. Echte Hilfe (man nennt das »Empowerment«) will den anderen stark und unabhängig machen. Der Enabler hingegen schafft Abhängigkeit. Er nimmt dem problematischen Akteur systematisch jede Notwendigkeit ab, sich den Konsequenzen seines Handelns zu stellen. Er lügt für den Alkoholiker beim Arbeitgeber, beschönigt die Wutausbrüche des Cholerikers und rechtfertigt die Inkompetenz des Kollegen.

Warum tut ein Mensch so etwas? Selten aus Sadismus. Meistens aus einer unheiligen Dreifaltigkeit menschlicher Schwächen:

  1. Panische Angst vor Konflikten: Die Vorstellung einer Konfrontation ist so unerträglich, dass das Ertragen von absolutem Schwachsinn als das kleinere Übel erscheint. Lieber den Mund halten, als dass jemand böse wird.
  2. Fehlgeleitete Loyalität: Ein pervertiertes Pflichtgefühl, das einem einflüstert, es sei die eigene Aufgabe, diese Person zu »schützen« – selbst wenn dieser Schutz sie geradewegs in den Abgrund führt.
  3. Ein Selbstwertgefühl auf wackligen Beinen: Das Gefühl, »gebraucht zu werden«, ist ein potenter Klebstoff. Wenn die eigene Identität davon abhängt, der Retter zu sein, fängt man an, nach Leuten zu suchen, die gerettet werden müssen. Und hält sie schön klein und hilflos.

Dieser toxische Tanz nennt sich Co-Abhängigkeit und ist die Blaupause für fast jede dysfunktionale Beziehung. Und glauben Sie mir, Ihr Büro ist voller solcher Beziehungen.

Biotop Büro: Der Hofstaat des toxischen Chefs

Nirgendwo gedeiht der Enabler so prächtig wie in den Hierarchien der Arbeitswelt. Kein toxischer Chef herrscht allein. Er umgibt sich mit einem sorgfältig kultivierten Hofstaat, der ihn von der lästigen Realität abschirmt. Erkennen Sie sie wieder?

  • Der Opportunist (»Brownnoser«): Lächelt, nickt, liefert nur gute Nachrichten und verteidigt jede noch so unsinnige Entscheidung. Sein Ziel: die nächste Beförderung. Moral ist optional.
  • Der loyale Leutnant: Bewundert die (vermeintliche) Stärke des Chefs und verteidigt ihn mit einer Inbrunst, die fast schon rührend wirken würde, wenn sie nicht so zerstörerisch wäre. Er glaubt wirklich daran.
  • Die schweigende Masse (Bystander): Der häufigste Typus. Sie sehen das Mobbing, die Ungerechtigkeit, die Fehlentscheidungen. Aber sie schweigen. Aus Angst. Aus Bequemlichkeit. Weil »jemand anderes« ja sicher was sagen wird. Tut nur keiner.
  • Die »Flying Monkeys«: Nach den geflügelten Affen aus dem »Zauberer von Oz« benannt. Das sind die Leute, die der Chef losschickt, um seine Drecksarbeit zu erledigen: Gerüchte streuen, Kritiker einschüchtern, Kollegen mobben.

Diese Symbiose ist perfekt. Der narzisstische Chef bekommt seine Dosis Bewunderung, und seine Enabler bekommen Sicherheit, Zugehörigkeit oder Karrierevorteile. Ein geschlossenes System. Widerstandsfähig. Und brandgefährlich. Fragen Sie mal bei Volkswagen nach. Die Ingenieure dort standen vor der Wahl: dem autoritären Chef sagen, dass die Abgaswerte nicht zu schaffen sind, oder eine »kreative« Software entwickeln. In einer von Angst geprägten Kultur fiel die Entscheidung leicht. Das Ergebnis ist als »Dieselgate« bekannt. Ein Skandal, ermöglicht durch Hunderte von Menschen, die nur ihren Job machen wollten.

Die große Bühne: Wie man einen Diktator macht

Sie denken, das ist weit hergeholt? Falsch. Skalieren Sie das Prinzip »Angst frisst Moral« einfach nach oben. Kein Diktator regiert durch pure Gewalt. Er braucht einen Apparat. Er braucht Enabler. Zwei Archetypen aus unserer eigenen Geschichte illustrieren das perfekt:

  1. Albert Speer, der Technokrat: Hitlers Architekt und Rüstungsminister. Der Mann, der nach dem Krieg erfolgreich das Märchen vom »unpolitischen Experten« erzählte, der nur seine Arbeit gemacht hat. Seine Arbeit? Die Kriegswirtschaft mit der Effizienz eines Konzernmanagers zu organisieren – auf dem Rücken von Millionen Zwangsarbeitern. Speer lieferte die Werkzeuge für den Massenmord und behauptete, er habe nur den Bauplan gelesen. Er ist der Schutzpatron aller, die sagen: »Ich habe nur Befehle ausgeführt.«
  2. Joseph Goebbels, der Ideologe: Der Propagandaminister. Er war kein Mitläufer, er war der Architekt des Hasses. Seine Aufgabe war es, einer ganzen Nation beizubringen, Völkermord für eine patriotische Pflicht zu halten. Er war der fanatische Enabler, der den moralischen Nährboden schuf, auf dem die Verbrechen erst wachsen konnten.

Ein Regime braucht beide: den Technokraten, der die Züge pünktlich nach Auschwitz rollen lässt, und den Propagandisten, der den Leuten erklärt, warum das eine gute Sache ist.

Der Notausgang: Strategien gegen die Mittäterschaft

Die Erkenntnis ist unbequem: Die gleichen psychologischen Mechanismen, die uns im Kleinen zu Komplizen machen, funktionieren auch im Großen. Aber das bedeutet auch: Der Widerstand beginnt im Kleinen. Bei Ihnen.

Was Sie für sich tun können:

  • Fragen Sie sich ehrlich: Wo vermeide ich Konflikte auf Kosten meiner Werte? Wo lüge ich für jemanden, um den Frieden zu wahren? Wo übernehme ich Verantwortung, die nicht meine ist? Die Antwort wird wehtun. Das ist gut so.
  • Lernen Sie, »Nein« zu sagen: Ein »Nein« zu einer unzumutbaren Bitte ist kein Akt der Aggression. Es ist ein Akt der Selbstachtung. Und oft ist es die einzige Möglichkeit, dem anderen wirklich zu helfen – indem man ihn zwingt, die Konsequenzen seines Handelns selbst zu tragen.
  • Helfen Sie richtig: Hören Sie auf, die Scherben aufzukehren. Reichen Sie dem anderen einen Besen und eine Kehrschaufel. Das ist der Unterschied zwischen Ermöglichen und Ermächtigen.

Was Organisationen tun müssen (ein kurzer Weckruf):

Schafft eine Kultur der psychologischen Sicherheit. Einen Ort, an dem es ungefährlicher ist, die Wahrheit zu sagen, als zu lügen. Richtet funktionierende Whistleblower-Systeme ein. Schützt die, die den Mut haben zu sprechen, anstatt sie zu bestrafen. Alles andere produziert nur den nächsten Skandal.

Fazit

Am Ende stehen wir alle immer wieder auf diesem schmalen Grat zwischen sozialer Anpassung und moralischer Komplizenschaft.

Also, fragen Sie sich:

Wann haben Sie das letzte Mal dem Chef nach dem Mund geredet, obwohl Sie es besser wussten?

Wann haben Sie eine unangenehme Wahrheit verschwiegen, um die Stimmung nicht zu kippen?

Der erste Schritt ist nicht, die Welt zu retten. Sondern aufzuhören, den Leuten dabei zu helfen, sie kaputt zu machen.

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Und? Habe ich Ihr Interesse geweckt?

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