Elmore Leonards Regeln des Schreibens, Teil IV
In Nummer 7 bis 9 seiner Schreibregeln nimmt Elmore Leonard den heroischen Kampf mit ausufernden Beschreibungen auf – in der Tat ein Problem, dass jeder Schriftsteller kennt. Also direkt in medias res:
Dialekte sollte man sparsam einsetzen.
Den einen oder anderen mag es wundern, dass ich diese Regel ausgerechnet in einem Segment über Beschreibungen bespreche. Doch die Verwendung von Dialekten hat nur eine einzige echte Berechtigung: in der Charakterisierung von Personen.
Schon Goethe schrieb:
„Ach neige, du Schmerzensreiche, dein Antlitz gnädig meiner Not.“
Der intendierte Reim ergibt sich nur, wenn man hesselt: „Ach neische, du Schmerzensreische“. Es wird oft darüber gescherzt, dass Goethe sich wohl hier seinem Frankfurter Heimatdialekt nicht so ganz entziehen konnte. Das Gegenteil ist der Fall, im ganzen übrigen Faust findet sich so etwas nicht. Er nutzt Dialekt, um Gretchen zu charakterisieren: Er präsentiert sie als einfaches Mädchen, das natürlich Dialekt spricht und das dem hochdeutsch sprechenden Faust zwar intellektuell unterlegen ist, jedoch nicht emotional.
Dialekt ist ein sehr starkes Signal, um eine Person zu charakterisieren. Entsprechend sollte man Dialekte wirklich sparsam einsetzen und sich bewusst sein, was man damit vermittelt: Die Herkunft einer Person, aber auch ihren sozialen Status – der Müllkutscher spricht beispielsweise ein anderes Bayerisch als der führende Landespolitiker. Außerdem sollte man den Dialekt natürlich beherrschen oder sich die gewünschten Sätze professionell übersetzen lassen. Ja, auch dafür gibt es Dienstleister!
Vermeide detaillierte Beschreibungen von Personen.
Diese Regel mag in unserer visuell verwöhnten Zeit ein wenig verwundern. Doch in der Tat sollte man sich bei der Beschreibung von Personen auf das Wesentliche beschränken. Von Harry Potter erfahren wir im ersten Buch beispielsweise zunächst nur, dass er nicht besonders groß ist, schwer zu bändigende schwarze Haare hat, eine Brille trägt. Zentrales Merkmal ist jedoch die Narbe auf seiner Stirn. Das reicht aus, um in unserer Fantasie ein genaues Bild entstehen zu lassen.
Um wirklich wesentliche Informationen zum Aussehen einer Person im Gedächtnis der Leser zu verankern, sollte man sie übrigens mehrfach erwähnen. J. K. Rowling stand zum Beispiel vor der Aufgabe, die Narbe auf Harry Potters Stirn im Gedächtnis der Leser zu verankern – und das tut sie sehr geschickt, indem sie immer wieder die Reaktion anderer Personen darauf beschreibt.
Letzteres ist übrigens ein probates Mittel, um Personenbeschreibungen in Handlung einzubinden: Anstatt zum Beispiel eine attraktive Frau detailliert zu beschreiben, kann man einfach die Reaktion eines durchschnittlichen heterosexuellen Mannes schildern. Oder anstatt die zahlreichen Verletzungen und Blessuren eine Person in Worte zu fassen, könnte man ihren besten Freund fragen lassen: „Hat dich ein Panzer überfahren?“
Wenn wir hingegen Personen bis in ihre Haarspitzen hinein beschreiben, halten wir nicht nur unnötig die Handlung auf, sondern beschneiden die Fantasie des Lesers und damit sein Lesevergnügen. Ich persönlich ziehe es vor, beim Lesen eines Buches die einzelnen Personen nach meinen Vorstellungen zu besetzen. Mir tun all die Leute leid, die Harry Potter zunächst im Film kennengelernt haben und nun stets Daniel Radcliffe vor sich sehen: Eigentlich viel zu hübsch und wohlgenährt, um der Romanfigur wirklich zu ähneln, auch wenn er sich mit dem Voranschreiten der Reihe die Rolle zusehends erspielt.
Beschreibe Orte und Dinge nicht zu detailliert.
Ertappt. Wie viele Autoren neige auch ich zu dieser Form der Logorrhö.
Nun gibt es brillante Wortmaler, die mit ihrer Sprache ganze Gemälde auferstehen lassen können. Man führe sich nur einmal den sich über viele Seiten erstreckenden ersten Satz von Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ zu Gemüte.
Was aber in der Hochliteratur noch funktioniert (wenn es denn gut gemacht ist), bremst in der Unterhaltungsliteratur die Handlung unnötig aus. Zudem geht im Detail oft das Wesentliche unter.
Der Film hat es da einfacher: Um das Aussehen einer Person oder eines Raumes zu zeigen, genügt eine einzige Einstellung von wenigen Sekunden. Viele Filmemacher schaffen es auch, allein über die abgebildeten Gegenstände Teile der Geschichte zu erzählen. Man möge sich nur einmal die erste Einstellung aus Terry Gilliams „Time Bandits“ ansehen. Mit der Fahrt über in einem Kinderzimmer verstreutes Spielzeug deutet er bereits alle Etappen seines Films voraus.
Als Autoren jedoch müssen wir „zu Fuß gehen“ und die Informationen, die wir vermitteln wollen, seriell abarbeiten. Daher ist es ratsam, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Umso mehr Aufmerksamkeit widmet der Leser den Beschreibungen. Außerdem empfiehlt es sich, Beschreibungen in Handlung einzubetten. Man lese dazu einmal die Einführung des Rings in „Herr der Ringe“, die eingebettet ist in einen ausgesprochen lebendigen Dialog zwischen Gandalf und Frodo.
Um auch hier eine allgemeine Regel an den Schluss zu setzen:
Beschreibe Personen, Orte und Dinge nur so detailliert, wie unbedingt nötig. Frage dich stets, was der Leser unbedingt wissen muss und wie du dieses Wissen in seinem Kopf verankert.