9. Oktober 2025

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Der Kuchenkrieg

Größere Torten statt toxischer Nullsummenspiele

Drei Szenen aus dem täglichen Wahnsinn

Szene 1: Die politische Weltbühne. Ein Blick auf die amerikanische Handelspolitik: Um der heimischen Industrie »zum Sieg zu führen«, werden Zölle auf ausländische Waren erhoben. Die simple Logik dahinter: Was die anderen an Marktzugang verlieren, gewinnen wir an Arbeitsplätzen. Der Jubel ist groß, der Sieg scheint errungen. Dass dadurch am Ende die eigenen Bürger durch höhere Preise und die eigene Exportwirtschaft durch Gegenzölle ebenfalls verlieren könnten, wird in dieser knallharten Win-Lose-Rechnung elegant ausgeblendet. Hauptsache, unser Stück vom Kuchen ist erstmal gesichert – und sei es auch nur als Illusion.

Szene 2: Das Büro-Schlachtfeld. Die jährliche Budget-Verteilung steht an, der härteste Wettkampf seit den Hunger Games. Die Marketing-Abteilung fordert mehr Geld für eine neue Kampagne. Der Reflex im Vertrieb ist schneller als jeder Klick auf »Meeting verlassen«: »Moment mal! Dieses Geld muss ja irgendwoher kommen – das geht bestimmt von unserem Reise- und Spesenbudget ab!« Anstatt zu überlegen, dass eine erfolgreiche Kampagne zu mehr Umsatz und damit langfristig zu größeren Budgets für alle führen könnte, wird der Geldtopf als fester Kuchen gesehen, um den jetzt mit harten Bandagen gekämpft werden muss.

Szene 3: Das Beziehungs-Monopoly. Der klassische Streit ums Aufräumen, ausgetragen mit der Präzision von Buchhaltern. Er sagt: »Ich habe gestern schon die Küche gemacht!« (Sein Konto ist im Plus). Sie kontert: »Dafür habe ich die Kinder ins Bett gebracht und die Wäsche gemacht!« (Ihr Konto ist noch voller). Anstatt das gemeinsame Ziel »ein sauberes, stressfreies Zuhause« zu sehen, wird pingelig aufgerechnet. Wer hat mehr »gewonnen«? Am Ende des Tages sitzen zwei erschöpfte Verlierer auf dem Sofa, umgeben von sauberem Geschirr und vergifteter Luft.

Eine persönliche Zwischenbemerkung: Warum mir das alles so fremd ist

Ich muss kurz innehalten, denn diese Denkweise steht in krassem Gegensatz zu allem, was ich aus meiner eigenen Arbeit kenne. Ich arbeite in der Werbung und am Theater – in Branchen also, die von kreativen Prozessen leben. Und trotz häufig gigantomaner Egos ist allen Beteiligten eines klar: Das Ganze ist immer größer als die Summe seiner Teile.

Wenn ich als Theaterregisseur mit einem Konzept in eine Probe gehe und die Bühnenbildnerin ihr Modell mitbringt, sind das nur die ersten Bausteine. Meine eigentliche Aufgabe ist es, einen Raum zu schaffen, in dem die Darstellerinnen und Darsteller sich diese Ideen aneignen, sie weiterentwickeln und wir gemeinsam die Erzählung des Abends finden. Es ist ein Akt der gemeinsamen Schöpfung, ein Positivsummenspiel par excellence.

Entsprechend fassungslos stehe ich oft vor dieser Nullsummen-Logik, die mir nicht nur in der Politik, sondern auch in den Unternehmen begegnet, für die ich (im Team mit anderen Kreativen) Kommunikation gestalte. Grund genug, dieser Denke mal nachzugehen und sie in diesem Artikel zu thematisieren.

Die Diagnose: Die Seuche des »festen Kuchens«

Die Logik, die hinter Zöllen, Budgetkämpfen und Beziehungs-Monopolys steckt, ist dieselbe, die wir im Großen bei autokratischen Politikern wie Trump oder Putin beobachten: die Welt als Arena, in der es nur Gewinner und Verlierer geben kann. Dieses mentale Betriebssystem hat einen Namen: das Nullsummenspiel.

Die Erklärung ist entwaffnend simpel: Es ist die tiefsitzende, aber meist falsche Idee, dass der Kuchen eine feste Größe hat. Wenn Sie sich ein Stück nehmen, ist für mich automatisch weniger da. Mein Gewinn muss Ihr Verlust sein – und umgekehrt.

Warum unser Gehirn diese Logik so liebt? Weil es faul und ängstlich ist. Unser inneres »Höhlenmensch-Gehirn« wurde über Jahrtausende auf Knappheit und Konkurrenz getrimmt. Wer damals nicht schnell genug bei der Beere oder am Wasserloch war, hatte Pech. Dieses Denken, das uns einst das Überleben sicherte, ist in unserer komplexen, vernetzten Welt eine kognitive Abkürzung, die uns direkt in die katastrophale Sackgasse führt.

Die toxischen Folgen: Wie uns der Kuchenkampf vergiftet

Die Auswirkungen dieser Denkweise sind verheerend und durchdringen alle Lebensbereiche.

In der Politik führt sie zu giftiger Polarisierung und totalem Stillstand. Kompromisse gelten als Verrat an der eigenen Sache, der politische Gegner wird zum Feind. Eine Gesellschaft, die so denkt, kann ihre größten Probleme – vom Klimawandel bis zur sozialen Ungleichheit – nicht mehr lösen, weil jeder nur den eigenen kurzfristigen »Sieg« anstrebt.

In der Arbeitswelt schafft das Nullsummenspiel eine Kultur des Misstrauens. Es entsteht das berüchtigte Silo-Denken: Abteilungen arbeiten gegeneinander statt miteinander, Informationen werden gehortet und Kollegen zu Rivalen. Statt Innovation durch Kooperation gibt es internen Konkurrenzkampf, der das ganze Unternehmen lähmt und die besten Mitarbeiter zur Kündigung treibt.

Und im Privatleben? Dort verwandelt diese Logik Beziehungen in subtile oder offene Machtkämpfe. Statt Vertrauen und gemeinsamem Wachstum gibt es Kontrollwahn, emotionale Buchhaltung (»Score-Keeping«) und die ständige Angst, zu kurz zu kommen. Am Ende steht oft ein Scherbenhaufen, bei dem beide Partner verloren haben – und etwaige Kinder erst recht.

Der Ausweg: Lernen, einen größeren Kuchen zu backen

Doch es gibt eine Alternative. Wir sind diesem Denken nicht hilflos ausgeliefert. Die Spieltheorie selbst kennt den Ausweg: das Positivsummenspiel. Die revolutionäre Idee dahinter: Der Kuchen hat keine feste Größe. Wir können ihn gemeinsam vergrößern, bevor wir ihn aufteilen.

Es geht hier nicht um faule Kompromisse, bei denen jeder die Hälfte seiner Wünsche aufgibt. Es geht um kreative Wertschöpfung. Das klassische Beispiel: Eine Person will in die Berge, die andere in ein Luxushotel. Der faule Kompromiss wäre eine Woche Wanderhütte, eine Woche Strandhotel. Beide verlieren. Die Win-Win-Lösung? Ein Luxushotel in den Alpen. Indem man die wahren Interessen hinter den starren Positionen erkennt, findet man eine Lösung, bei der beide 100% von dem bekommen, was ihnen am wichtigsten ist.

Man muss nur in die Geschichtsbücher blicken: Nach dem Ersten Weltkrieg zwang der Vertrag von Versailles Deutschland in die Knie – ein klassisches Nullsummenspiel, das den Nährboden für den nächsten Konflikt bereitete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wählte man einen radikal anderen Weg: den Marshallplan. Statt den besiegten Feind auszubluten, investierten die USA massiv in den Wiederaufbau Westeuropas. Das Ergebnis? Es entstand nicht nur ein stabiles, demokratisches Europa, sondern auch ein riesiger neuer Markt für amerikanische Waren. Ein historisches Positivsummenspiel, bei dem der gemeinsame Kuchen aus Wohlstand und Sicherheit für alle Beteiligten wuchs.

Die entscheidende Botschaft ist: Wir als Individuen haben die Macht, die Spielregeln zu ändern. Indem wir in unserem direkten Umfeld – im Team, in der Familie, im Freundeskreis – bewusst anders handeln, durchbrechen wir den Teufelskreis. Und das strahlt aus.

Ihr Werkzeugkasten für die Win-Win-Welt

Wie fängt man damit an? Mit drei einfachen, aber mächtigen Werkzeugen:

1. Werkzeug: Der Sherlock-Holmes-Trick (Interessen statt Positionen).

Hören Sie auf, über starre Forderungen zu streiten (»Ich will das Fenster offen!«). Werden Sie zum Detektiv und finden Sie das »Warum« dahinter heraus (»Mir ist stickig« vs. »Mich stört der Lärm vom Verkehr«). Nur wenn Sie die wahren Bedürfnisse kennen, können Sie kreative Lösungen finden, die für beide funktionieren (z.B. kurz stoßlüften und dann wieder schließen). Dieser Ansatz ist ein Kernelement des berühmten Harvard-Konzepts.

2. Werkzeug: Der »Raus aus meinem Kopf«-Trick (Perspektivwechsel).

Die einfachste Art, einen Konflikt zu entschärfen, ist, für einen Moment die eigene Perspektive zu verlassen. Fragen Sie sich aktiv: »Wie sieht die Welt gerade für mein Gegenüber aus? Was braucht er oder sie wirklich, um sich sicher und verstanden zu fühlen?« Allein diese Frage verändert die gesamte Dynamik. Das Geheimnis lautet: Zuhören, um zu verstehen – nicht, um die eigene Antwort vorzubereiten.

3. Werkzeug: Die »Ich-statt-Sie«-Waffe (Ich-Botschaften).

Nichts eskaliert einen Konflikt so zuverlässig wie ein anklagender Vorwurf. Anstatt anzugreifen (»Sie sind immer so unordentlich!«), beschreiben Sie die Wirkung auf Sie selbst: »Ich fühle mich gestresst und unwohl, wenn alles unaufgeräumt ist.« Das schlägt keine Türen zu, sondern öffnet sie für ein Gespräch über Lösungen. Die Technik der Ich-Botschaften ist dafür ein unschätzbares Werkzeug.

Fazit: Die Entscheidung liegt bei Ihnen

Das Nullsummendenken ist wie eine ansteckende Krankheit, die sich durch Misstrauen und Angst verbreitet. Aber wir haben das Heilmittel: unsere bewusste Entscheidung für Kooperation.

Es ist die Wahl, ob wir uns weiter erbittert um die Krümel eines kleinen, trockenen Kuchens streiten oder ob wir lernen, gemeinsam die Zutaten für eine prächtige, mehrstöckige Torte für alle zusammenzutragen.

Zurück zum Theater: Kein Regisseur kann eine Aufführung alleine »gewinnen«. Ein großartiger, magischer Abend entsteht nur, wenn alle – von der Technik über das Kostüm bis zu den Schauspielern – ihre einzigartigen Talente einbringen, um etwas Neues, etwas Größeres zu schaffen. Genau diese Haltung braucht es auch außerhalb der Bühne.

Die Wahl, die wir im Kleinen treffen, hat die Macht, die Welt im Großen zu verändern. Fangen wir damit an. Heute.

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Und? Habe ich Ihr Interesse geweckt?

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