5. Februar 2025

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Die Kunst des Weglassens und Umschreibens

Elmore Leonards Regeln des Schreibens – Teil V

Ich bin fast am Ende meiner Diskussion der zehn Schreibregeln von Elmore Leonard angelangt. Eine einzige Regel steht noch aus – und dann natürlich sein zusammenfassender Grundsatz. Also, bringen wir es hinter uns:

Lass alles weg, was die Leser ohnehin überspringen.

Wohl jeder Autor würde diese Regel sofort unterschreiben – mit seinem Blut.

Doch seien wir einmal ehrlich: In der Praxis hapert es damit.

Seitenlange Beschreibungen, uninteressante Nebenhandlungen, Schleifen in der Haupthandlung, die nur aufhalten etc.: All das schreiben wir – doch als Lesende überfliegen wir es entweder oder wir legen das Buch gleich genervt beiseite. Und die Böswilligeren von uns verfassen eine entsprechende Rezension auf Amazon.

Als Autor nehme ich mich natürlich von der Sünde der Logorrhö nicht aus. Mein größtes Problem: Ich neige dazu, die einzelnen Phasen eines Handlungsablaufs viel zu detailliert zu beschreiben.

Er schaltete das Licht aus und zog die Wohnungstür hinter sich in Schloss. Dann ging er die achtmal dreizehn Stufen des Treppenhauses hinunter. Im Hauseingang angekommen, warf er einen raschen Blick in den Briefkasten und wuchtete dann die schwere Haustür auf. „Tür stets geschlossen halten“, ermahnte ihn ein passiv-aggressiver Zettel über der Türklinke. Also achtete er sorgfältig darauf, die Tür wieder richtig ins Schloss zu ziehen. Er hob die Schultern, atmete die feuchte Nachmittagsregenluft ein und wandte sich dann nach links. Mit energischen Schritten ging er los.

Er überquerte zwei Fußgängerampeln und stand dann endlich vor dem Eingang des Supermarktes. Die automatische Tür öffnete sich vor ihm, während er leise vor sich hin murmelte: „Sesam, öffne dich.“ Ein Scherz, den er sich aus seiner Kindheit bewahrt hatte.

Er nahm keinen Einkaufswagen, sondern eilte durch das Labyrinth der Gänge zu den Regalen mit den Artikeln zur Körperpflege. Dort! Zahnpflege und Mundspülungen. Er ließ die Hand über das vielfältige Sortiment an Zahnreinigungsutensilien gleiten und entschied sich dann für ein rotes Modell mit stabilem Griff und – so versprach die Packung – besonders zahnfleischschonend gerundeten Borsten.

Er nahm die Bürste in ihrer Packung vom Haken. Dann richtete er sich auf und streckte den Kopf in die Höhe, um sich zu orientieren. Wo war denn jetzt die Kasse?

Dort angekommen musste er einen Moment warten und blätterte deswegen in einer Zeitschrift. Endlich war er an der Reihe und legte seinen Artikel auf das Laufband. Nachdem die Kassiererin ihn über den Scanner gezogen und „War das alles?“ gefragt hatte, reichte er ihr einen Zehneuroschein. Das Wechselgeld schob er in die Hosentasche. Die Zahnbürste hingegen verstaute er in der Brusttasche seines Jacketts.

Dann verließ er den Supermarkt. Es hatte wieder zu nieseln begonnen. Also schlug er den Kragen seines Jacketts hoch und ging mit eiligen Schritten nach Hause.

Und? Schlaft ihr schon? Wenn die Zahnbürste jetzt nicht wenigsten magische Fähigkeiten entwickelt, wäre es dringend ratsam, diesen Text folgendermaßen zu verkürzen:

Im Supermarkt in seiner Straße kaufte er eine Zahnbürste.

Dieser Wortreichtum meinerseits dürfte übrigens erklären, warum es mir meist leichtfällt, zehn Prozent aus meinen Texten herauszukürzen, oft auch mehr.

Anstatt einer Regel diesmal drei Fragen, die man sich bei jedem Textabschnitt stellen sollte:

  1. Bringt er die Handlung voran?
  2. Charakterisiert er eine Person?
  3. Ist er wenigstens witzig (oder schön, oder erhaben)?

Ist die Antwort auf alle drei Fragen „Nein“, haben wir einen Kandidaten für den Rotstift aufgespürt. Herzlichen Glückwunsch.

Wenn es geschrieben klingt, schreibe ich es um.

Mit diesem Satz fast Leonard all seine Regeln zusammen. Und natürlich nicken wir auch hier wieder mit Begeisterung, ebenso wie bei all den anderen Postkartenweisheiten zum Thema Schreiben. Etwa bei George Simenons …

„Wenn ich einen besonders schönen Satz sehe, streiche ich ihn weg.“

… oder beim bereits an anderer Stelle zitierten Credo von Antoine de Saint-Exupery:

„Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“

Doch was heißt das eigentlich – „wie geschrieben klingen“? Ich denke, es geht uns allen damit so wie jenem berüchtigten amerikanischen Senator mit dem Thema Pornographie: „Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe.“

Wir wissen also, was wir mit „geschrieben“ meinen. Nur leider meinen wir damit häufig unterschiedliche Dinge. Die einen beziehen sich dabei auf das berüchtigte Schrift- oder Amtsdeutsch mit seinen unerträglichen Passivkonstruktionen. Die anderen lehnen jeden schriftstellerischen Überschwang ab – das sind oft die gleichen, die auch gnadenlos gegen jedes einzelne Adjektiv und Adverb in den Krieg ziehen. Am Ende dieses Denkens steht dann einen Einheitsstil, wie wir ihn derzeit nicht nur in der Unterhaltungsliteratur immer mehr sehen, doch dazu ein anderes Mal.

Ich würde daher dringend anraten, den Satz „Wenn es geschrieben klingt, schreibe ich es um.“ nach eigenem Gusto zu konkretisieren:

Wenn etwas steif, bürokratisch, gewunden, geschraubt, unorganisch … [Bitte nach Belieben ergänzen] klingt, schreibe ich es um.

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Und? Habe ich Ihr Interesse geweckt?

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