24. September 2025

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Droht uns eine deutsche »Jimmy Kimmel«-Affäre?

Staatsferne auf dem Prüfstand

In Teil 1 haben wir gesehen, wie in den USA ein politisierter Behördenapparat genutzt werden kann, um über Umwege Druck auf kritische Medien auszuüben. Nach der Lektüre klopft man sich vielleicht beruhigt auf die Schulter und denkt: »Gut, dass das bei uns nicht geht!« Und tatsächlich ist das deutsche Mediensystem als bewusster Gegenentwurf zur amerikanischen Landschaft konzipiert.

Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes zogen eine klare Lehre aus der Nazi-Diktatur: Der Staat darf die Medien, insbesondere den meinungsbildenden Rundfunk, niemals wieder als Propagandainstrument missbrauchen. Das Ergebnis ist das im Artikel 5 des Grundgesetzes verankerte Prinzip der »Staatsferne«. Anders als in den USA mit ihrer zentralen FCC ist die Medienaufsicht bei uns föderal organisiert und unser duales Rundfunksystem aus privatem und starkem öffentlich-rechtlichem Rundfunk ist einzigartig.

Ein direkter »Kimmel-Fall«, bei dem ein Kanzler einem Sender mit Lizenzentzug droht, ist bei uns also strukturell und verfassungsrechtlich undenkbar. Aber das bedeutet nicht, dass es keine politischen Einflussversuche gibt. Sie sind nur leiser, komplexer und finden hinter anderen Türen statt.

Die Wächter des Systems und ihre Achillesfersen

Bei uns gibt es nicht die eine FCC. Für die privaten Sender sind die 14 Landesmedienanstalten zuständig. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) kontrollieren interne Gremien, allen voran der Rundfunk- bzw. Fernsehrat. Doch genau hier liegen die Einfallstore für politische Interessen.

Achillesferse 1: Die Gremien des ÖRR

Die Rundfunkräte sollen einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden. In ihnen sitzen Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden – aber eben auch von Landesregierungen und Parteien. Innerhalb dieser Gremien bilden sich oft informelle parteipolitische Blöcke, sogenannte »Freundeskreise«, die bei wichtigen Personalentscheidungen koordiniert abstimmen.

Das Paradebeispiel dafür ist die »Causa Brender« aus dem Jahr 2009. Die Vertragsverlängerung des kritischen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender wurde auf Betreiben des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) im Verwaltungsrat des Senders blockiert. Die Entscheidung war offenkundig politisch motiviert und zeigte, wie über die Gremien direkter Druck auf journalistische Spitzenpositionen ausgeübt werden kann. Als Reaktion darauf urteilte das Bundesverfassungsgericht 2014 im sogenannten »ZDF-Urteil«, dass der Anteil staatlicher Vertreter in den Gremien auf ein Drittel begrenzt werden muss – ein wichtiger Schritt, der den politischen Einfluss aber nicht gänzlich beseitigt hat.

Achillesferse 2: Der finanzielle Schraubstock

Der zweite große Hebel ist das Geld. Das Verfahren zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags ist eigentlich bewusst entpolitisiert. Eine unabhängige Expertenkommission, die KEF, prüft den Finanzbedarf der Anstalten und gibt eine Empfehlung ab.

Die Schwachstelle: Dieser Empfehlung müssen am Ende die Parlamente aller 16 Bundesländer zustimmen. Es herrscht Einstimmigkeitsprinzip. Jedes einzelne Bundesland hat damit ein Vetorecht. Im Jahr 2020 nutzte dies die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, um die empfohlene Beitragserhöhung zu blockieren. Die Blockade war politisch motiviert und sollte den ÖRR zu Strukturreformen zwingen. Erst das Bundesverfassungsgericht musste eingreifen und die Erhöhung per einstweiliger Anordnung durchsetzen. Der Fall zeigt exemplarisch, wie die Finanzierung als politisches Druckmittel genutzt wird, um das gesamte System in Geiselhaft zu nehmen.

»Jawboning« auf Deutsch: Der öffentliche Diskurs als Waffe

Neben diesen formalen Hebeln gibt es auch bei uns die informelle Einflussnahme. Hochrangige Politiker, insbesondere Ministerpräsidenten, nutzen Interviews und öffentliche Auftritte, um die Berichterstattung des ÖRR als »einseitig« zu kritisieren oder die Kosten als zu hoch zu brandmarken.

Diese Strategie zielt darauf ab, die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Systems und die Höhe des Beitrags permanent infrage zu stellen. So wird ein negatives öffentliches Klima geschaffen, das die Sender in eine ständige Verteidigungshaltung zwingt. Dieser interne Druck kann dazu führen, dass kontroverse Themen aus Vorsicht gemieden werden – eine Form der Selbstzensur, ganz ohne direkte Anweisung.

Fazit: Kein Flächenbrand, aber ein Zermürbungskrieg

Die gute Nachricht zuerst: Einem deutschen Sender kann nicht per Anordnung aus dem Kanzleramt die Lizenz entzogen werden. Unser föderales System mit seinem Grundsatz der Staatsferne und einem wachsamen Bundesverfassungsgericht im Rücken verhindert dies effektiv.

Die eigentliche, subtilere Gefahr liegt nicht im offenen Angriff, sondern in einer langsamen Zermürbung. Sie wird geführt durch permanenten finanziellen Druck über das Beitragsverfahren, durch parteipolitisch motivierte Personalentscheidungen in den Gremien und durch eine kontinuierliche Delegitimierung im öffentlichen Diskurs.

Die Verteidigung der Pressefreiheit ist bei uns also weniger ein Kampf gegen ein offensichtliches Monster, sondern die ständige, mühsame Reparatur der Schutzdämme gegen ein langsam steigendes politisches Hochwasser. Wachsamkeit ist daher auch in unserem System das oberste Gebot.

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