Even though his texts will soon have a century and a half under their belt, Mark Train was a master of satire who still makes me laugh today. This is my German rendering of the mischievous “Story of the Good Little Boy,” which I hope you enjoy.
Mark Twain:
Die Geschichte vom guten Knaben,
dem das Leben nicht wohlgesonnen war
Translated by Helmut Barz
ES WAR EINMAL ein guter Knabe mit dem Namen Jakob Blivens. Er gehorchte stets seinen Eltern, egal wie absurd und unvernünftig ihre Forderungen waren; auch seine Bibel lernte er fleißig und kam nie zu spät zur Sonntagsschule. Er hätte niemals geschwänzt, auch wenn es nüchtern betrachtet das Beste gewesen wäre, was er hätte tun können.
Keiner der anderen Jungen konnte sich einen Reim auf diesen Knaben machen, so seltsam verhielt er sich.
Er log nicht, egal, wie bequem es gewesen wäre. Es sei falsch, zu lügen, sagte er nur, und das genüge ihm. Und seine Ehrlichkeit grenzte an Lächerlichkeit.
Jakobs eigenwilliges Gebaren übertraf alles. Er spielte sonntags nicht mit Murmeln. Er plünderte keine Vogelnester. Den Affen der Leierkastenmänner gab er keine heißen Pfennige: Offenbar hatte er überhaupt kein Interesse an irgendeiner Art von vernünftigem Vergnügen.
Also versuchten die anderen Jungen, ihn zu verstehen, aber sie kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Wie ich bereits sagte: Sie hatten diese vage Idee, dass er irgendwie „besessen“ war. So nahmen sie ihn unter ihren Schutz und ließen nicht zu, dass ihm etwas zustieß.
Dieser gute Knabe las alle Bücher der Sonntagsschule; sie waren seine größte Freude. Und das war schon sein ganzes Geheimnis. Er glaubte an die guten Knaben, wie sie in die Sonntagsschulbücher standen, und hatte volles Vertrauen in sie. Einmal einem von ihnen leibhaftig zu begegnen, danach sehnte er sich, doch es gelang ihm nie. Vielleicht waren sie alle vor seiner Zeit verstorben?
Wenn er von einem besonders guten Jungen las, blätterte er schnell bis zum Ende, um zu sehen, was aus ihm wurde, denn er wollte Tausende von Kilometern reisen, um ihn zu sehen; aber es nützte nichts. Das letzte Kapitel berichtete stets vom Tod des guten Knaben – illustriert mit einem Bild von der Beerdigung, bei der all seine Verwandten und die Sonntagsschulkinder in zu kurzen Hosen und zu großen Hauben an seinem Grab standen. Sie alle weinten in ihre Taschentücher, die so groß waren wie Tischdecken.
Und so ging es ihm stets. Er konnte nie einen dieser guten Knaben treffen, weil diese immer im letzten Kapitel starben.
Und so entwickelte Jakob den Ehrgeiz, selbst in ein Sonntagsschulbuch aufgenommen zu werden. Seine Geschichte sollte dort erzählt werden – mit Bildern, die zeigten, wie er sich glorreich weigerte, seine Mutter zu belügen, und wie sie deshalb vor Freude weinte; in anderen Bildern sollte er auf der Türschwelle stehen, einer armen Bettlerin mit sechs Kindern einen Pfennig geben und ihr sagen, sie solle ihn nach Belieben ausgeben, aber nicht verschwenderisch sein, denn Verschwendungssucht sei eine Sünde. Und nicht zuletzt sollte es dort Bilder geben, in denen er sich großmütig weigerte, den bösen Jungen zu verpetzen, der ihm immer auflauerte, wenn er aus der Schule kam, ihm mit einer Latte auf den Kopf schlug und ihn dann nach Hause jagte, stets laut „Hüh! Hott!“ rufend.
Das war der Ehrgeiz des jungen Jakob Blivens: Er wollte in ein Sonntagsschulbuch aufgenommen werden.
Manchmal fühlte er sich ein wenig unwohl, wenn er daran dachte, dass die guten Knaben stets dem Tode geweiht waren. Er liebte das Leben, wissen Sie. Das Sterben war daher für ihn das Unangenehmste daran, ein Sonntagsschulbuchknabe zu sein. Er wusste, dass es nicht gesund war, gut zu sein. Ja es schien ihm sogar fataler als die Schwindsucht, so übernatürlich gut zu sein, wie es die Knaben in den Büchern waren; er wusste, dass keiner von ihnen es lange durchgehalten hatte, und es schmerzte ihn der Gedanke, dass, wenn sie einst seine Geschichte in einem Buch erzählten, er es nie in den Händen halten würde.
Doch selbst wenn sie das Buch vor seinem Tod herausbrächten – ohne ein Bild von seiner Beerdigung am Ende wäre es sicher kein Erfolg. Es wäre schließlich kein gutes Sonntagsschulbuch, wenn es auch nicht die Ratschläge wiedergeben würde, die er noch auf dem Sterbebett den Menschen um ihn gab. Letztlich fasste er den Entschluss, das Beste zu tun, was er unter den gegebenen Umständen tun konnte – ein gutes Leben zu führen und so lange durchzuhalten, wie er konnte; und wenn seine Zeit gekommen war, würde er mit edlen Worten auf den Lippen sterben.
Aber irgendwie lief bei diesem braven Knaben nie etwas so, wie es bei seinen Vorbildern in den Büchern der Fall war. Jenen erging es stets gut, und die bösen Knaben waren es, die sich die Beine brachen. Doch irgendetwas bei ihm war verkehrt – und alles passierte genau andersherum. Als er Jim Blake beim Apfeldiebstahl erwischte und unter den Baum ging, um ihm die Geschichte von dem bösen Knaben vorzulesen, der aus dem Apfelbaum des Nachbarn gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte, fiel Jim auf ihn und brach ihm so den Arm; Jim selbst blieb unverletzt. Jakob konnte das nicht verstehen. So etwas gab es in den Büchern nicht.
Und einmal, als ein paar böse Buben einen Blinden in den Schlamm stießen und Jakob hineilte, um ihm aufzuhelfen und seinen Segen zu empfangen, gab ihm der Blinde überhaupt keinen Segen. Stattdessen schlug er dem Knaben mit seinem Stock auf den Kopf und sagte, er solle ich bloß noch mal dabei erwischen lassen, wie er ihn erst umstieß und dann so tat, als wolle er ihm aufhelfen. So stand das in keinem der Bücher. Jakob las sie zur Sicherheit noch einmal alle durch.
Eine Sache, die Jakob tun wollte, war, einen lahmen Hund zu finden, der – hungrig und gehetzt – keinen Platz zum Bleiben hatte. Er würde das Tier nach Hause zu bringen, ihn streicheln und der Hund würde ihm auf ewig dankbar sein.
Endlich fand er einen und war glücklich; er brachte ihn nach Hause und fütterte ihn, aber als Jakob ihn streicheln wollte, stürzte sich der Hund auf ihn und riss ihm alle Kleider vom Leib, bis auf jene auf der Vorderseite, und stellte ihn so vor aller Augen bloß.
Unser Knabe konsultierte daraufhin erneut seine Bücher, doch wieder konnte er sich keinen Reim auf das Geschehene machen. Es war die gleiche Hunderasse wie in den Büchern, aber sie verhielt sich ganz anders.
Was auch immer dieser Knabe tat: Er handelte sich Ärger ein. Und zwar genau für die Dinge, für die die Knaben in den Büchern stets reich belohnt wurden.
Einmal, auf dem Weg zur Sonntagsschule, sah er ein paar böse Buben, die sich in einem Segelboot vergnügten. Er war entsetzt, wusste er doch aus seiner Lektüre, dass Jungen, die am Sonntag segeln gingen, immer ertranken. Also fuhr er auf einem Floß hinaus, um sie zu warnen, aber einer der Stämme drehte sich unter seinen Füßen und er stürzte ins Wasser.
Ein Mann fischte ihn alsbald heraus; der Arzt pumpte das Wasser aus seinem Magen. Und mit einem Blasebalg hauchte er den Knaben neues Leben ein. Doch Jakob erkältete sich schwer: Neun Wochen lag er krank danieder.
Aber das Unerklärlichste daran war, dass die bösen Buben im Boot sich den ganzen Tag lang amüsierten und völlig überraschend gesund und munter nach Hause kamen. Jakob Blivens musste erneut feststellen, dass diese Dinge in den Büchern nicht vorkommen. Und das verstörte ihn zutiefst.
Als er wieder gesund wurde, war er ein wenig entmutigt. Dennoch beschloss er, es weiter zu versuchen. Er wusste, dass seine bisherigen Erlebnisse kein Buch füllen würden, aber er hatte die ihm zustehende Lebenszeit für gute Knaben noch nicht erreicht, und er hoffte, doch noch etwas Denkwürdiges zu leisten, wenn er nur durchhielt, bis seine Zeit endgültig abgelaufen war. Wenn alles andere fehlschlug, konnte er noch immer auf seine letzten Worte zurückgreifen.
Erneut befragte er die weisen Bücher und stellte so fest, dass es für ihn nun an der Zeit war, als Schiffsjunge zur See zu fahren. Er suchte einen Schiffskapitän auf und bewarb sich. Als der Kapitän nach seinen Referenzen fragte, zog der gute Knabe stolz ein Traktat hervor und zeigte auf die Worte: „Für Jakob Blivens, von seinem liebevollen Lehrer“
Aber der Kapitän war ein grober, vulgärer Mann, und er sagte: „Ach, so was ist doch wertlos!“ Das zeige doch nicht, ob Jakob wisse, wie man Geschirr wäscht oder mit einem Putzeimer umgeht; entsprechend schätzte er, dass er den Knaben nicht wollte.
Dies war alles in allem das Außergewöhnlichste, was Jakob in seinem Leben je widerfahren war. Ein Kompliment eines Lehrers auf einem Traktat hatte noch nie darin versagt, die zärtlichsten Gefühle von Schiffskapitänen zu bewegen und den Weg zu allen Ämtern der Ehre und des Gewinns zu öffnen. Das hatte es in keinem Buch gegeben, das der Knaben je gelesen hatte. Er wollte seinen Sinnen kaum trauen.
Dieser Knabe hatte es immer schwer. Nie widerfuhr ihm etwas so, wie es in den schlauen Büchern stand. Als er eines Tages auf der Suche nach bösen Buben war, um sie zu ermahnen, fand er einige von ihnen in einer alten Eisengießerei; sie erlaubten sich gerade kleinen Scherz mit vierzehn oder fünfzehn Hunden ; sie hatten die Tiere in einer langen Prozession zusammengebunden und wollten ihnen nun leere Nitroglyzerindosen an die Schwänze binden.
Jakob fasste sich ein Herz. Er setzte sich auf eine dieser Dosen – denn wenn es um die Pflicht ging, scheute er weder Dreck noch Fett –, packte den vordersten Hund am Halsband und richtete seinen tadelnden Blick auf den bösen Tom Jones.
Doch genau in diesem Augenblick betrat Stadtrat McWelter voller Zorn die Eisengießerei. Die bösen Buben rannten davon. Jakob Blivens hingehen erhob sich im Bewusstsein seiner Unschuld und begann eine dieser stattlichen kleinen Sonntagsschulbuchreden, die stets mit „Oh, Sir!“ beginnen – und das, obwohl im echten Leben kein Knabe, ob gut oder böse, jemals eine Bemerkung mit „Oh, Sir!“ beginnt.
Aber der Stadtrat hörte sich den Rest der Ansprache gar nicht erst an. Er packte Jakob Blivens am Ohr, drehte ihn um und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hintern.
Im Nu schoss der brave Knabe durch das Dach hinaus der Sonne entgegen, während die Überreste der fünfzehn Hunde hinter ihm herzogen wie der Schweif eines Drachens.
Vom Stadtrat und der alten Eisengießerei war nichts mehr übriggeblieben. Und der junge Jakob Blivens hatte keine Gelegenheit, seine große Sterbensrede zu halten, die er doch so lange vorbereitet hatte, es sei denn, die Vögel sind willens gewesen, ihm zu lauschen; denn obwohl der größte Teil des Knaben in einer Baumkrone in einer angrenzenden Gemeinde zu liegen kam, war der Rest von ihm auf vier weitere Gemeinden verteilt. Sie mussten fünf Untersuchungen durchführen, um herauszufinden, ob er nun tot war oder nicht und wie es dazu kam. Einen derart verstreuten Knaben hatte die Welt noch nicht gesehen.*
So verschied der gute Knabe. Er hatte sein Bestes getan, doch das Leben, dass die Bücher verhießen, blieb ihm verwehrt. Jedem Jungen, der so handelte wie er, erging es gut, nur ihm nicht. Daher ist sein Fall wirklich bemerkenswert. Nur wird wohl nie jemand davon berichten.
*Diese Glyzerin-Katastrophe ist einem kursierenden Zeitungsartikel entnommen, dessen Autor ich nennen würde, wenn ich ihn wüsste. – [M.T.]