31. August 2025

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Übersetzer in Zeiten der KI: Totgesagte leben länger

Microsoft hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die jene Berufe auflistet, die von künstlicher Intelligenz am stärksten beeinflusst werden. Wenig überraschend steht auch »Übersetzer« darauf. Die Schlagzeilen suggerieren: Wir sind dem Untergang geweiht, bald ersetzt durch ChatGPT und seine digitalen Geschwister.

Moment mal – haben wir das nicht schon mal gehört?

Richtig, vor etwa zehn Jahren, als die ersten neuronalen Netzwerke begannen, brauchbare Übersetzungen auszuspucken. Damals prophezeiten die Untergangspropheten bereits unser baldiges Ende. Und doch sitze ich hier, übersetze munter weiter und verdiene damit meine Brötchen. Allerdings – und das ist der springende Punkt – mache ich heute vieles anders als noch vor einem Jahrzehnt.

Denn seien wir ehrlich: Die KI-Revolution ist keine plötzliche Apokalypse, sondern eine schleichende Evolution, die unser Berufsbild fundamental verändert. Ob zum Guten oder zum Schlechten? Das liegt, wie so oft, in unseren eigenen Händen.

Der Preiskampf nach unten – oder: Wie billig darf’s denn sein?

Machen wir uns nichts vor: Der Übersetzungsmarkt ist schon lange ein Haifischbecken. »Gut genug statt perfekt« lautet die Devise vieler Unternehmen. Warum auch 15 Cent pro Wort zahlen, wenn’s der Student für 3 Cent macht? Dass besagter Student »ganz gut Englisch kann« – nun ja, das muss reichen. Für die interne Kommunikation, für die Produktbeschreibung im Onlineshop, für den Newsletter.

Das Problem dabei? Viele Auftraggeber sprechen die Zielsprache nicht gut genug, um die Qualität beurteilen zu können. Der Lokalisierungsmanager in Mumbai, der die deutsche Übersetzung abnimmt? Sein Deutsch beschränkt sich vielleicht auf »Gesundheit!« und „Oktoberfest«. Die Marketing-Chefin in New York, die den deutschen Werbetext freigibt? Sie verlässt sich darauf, dass schon alles passen wird.

Ein Teufelskreis entsteht: Billiganbieter unterbieten sich gegenseitig, professionelle Übersetzer müssen nachziehen oder aufgeben. Die Qualität? Die bleibt auf der Strecke. Aber hey, Hauptsache billig!

Und dann kam die Machine Translation und machte alles noch schlimmer.

PMTE – Das Akronym des Grauens

Post Machine Translation Editing. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Stellt euch vor, ihr seid Sternekoch und sollt aus einer Tiefkühlpizza ein Gourmet-Gericht zaubern. Ungefähr so fühlt sich PMTE an.

Die Theorie: Die Maschine übersetzt, der Mensch poliert nach. Schnell, effizient, günstig.

Die Praxis: Ich starre auf meinen Bildschirm und sehe dies:

<tag>D</tag><tag>i</tag><tag>e</tag> <tag>K</tag><tag>a</tag><tag>t</tag><tag>z</tag><tag>e</tag> <tag>s</tag><tag>i</tag><tag>t</tag><tag>z</tag><tag>t</tag> <tag>a</tag><tag>u</tag><tag>f</tag> <tag>d</tag><tag>e</tag><tag>r</tag> <tag>M</tag><tag>a</tag><tag>t</tag><tag>t</tag><tag>e</tag>.

Ja, wirklich. Jeder. Einzelne. Buchstabe. In. Einem. Eigenen. Tag.

Wenn ich Glück habe, ist der Text nur mit ein paar Dutzend Tags durchsetzt. Wenn ich Pech habe, verbringe ich mehr Zeit damit, dieses digitale Chaos zu entwirren, als eine Neuübersetzung gedauert hätte. Und dafür bekomme ich dann großzügige 1,5 Cent pro Wort. Toll.

Aber das ist noch nicht mal das Schlimmste. Die wirkliche Crux: Machine Translation hat kein Gespür für Nuancen. »Break a leg« wird zu »Brich dir ein Bein« statt »Hals- und Beinbruch«. Juristische Fachtermini? Ein Glücksspiel. Kulturelle Anspielungen? Vergiss es.

DeepL und Co. sind inzwischen zwar beeindruckend gut – für den Hausgebrauch. Für die E-Mail an den Kollegen in Barcelona. Für das Verstehen eines französischen Zeitungsartikels. Aber für einen Vertrag? Eine medizinische Studie? Eine Marketingkampagne, die Millionen erreichen soll? Da wird’s haarig.

Der neue Mitspieler: Large Language Models

Und jetzt also ChatGPT, Claude, Gemini und wie sie alle heißen. Die neuen Wunderkinder der KI-Familie. Game Changer, heißt es. Diesmal wirklich.

Ich gestehe: Ich nutze sie. Täglich. DeepL läuft in meinen CAT-Tools (MemoQ und Trados, für die Insider) als treuer Begleiter mit. Aber – und das ist entscheidend – nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug. Als sehr smartes Wörterbuch. Und LLMs nutze ich Inspirationsquelle, wenn mir die deutsche Entsprechung für einen besonders vertracken englischen Ausdruck partout nicht einfallen will.

Die schlechte Nachricht: LLMs machen »Do-it-yourself-Übersetzungen« noch einfacher. Jeder Praktikant kann jetzt einen Text in ChatGPT werfen, »Übersetze ins Deutsche« dranschreiben und – voilà! – fertig ist die Übersetzung. Oder das, was dafür gehalten wird.

Die Billig-Übersetzungsagenturen springen natürlich auf den Zug auf. Warum noch Menschen bezahlen, wenn die KI es für lau macht? Der menschliche Übersetzer? Wird, wenn überhaupt, nur noch als Feigenblatt eingekauft. »Ja, natürlich arbeiten bei uns echte Übersetzer!« (Die dann für 0,5 Cent pro Wort den KI-Output durchwinken sollen.)

Die gute Nachricht: LLMs können mehr als nur übersetzen. Sie analysieren Texte, erstellen Glossare, finden Inkonsistenzen, schlagen Stilverbesserungen vor. Sie nehmen mir die Fleißarbeit ab und geben mir Zeit für das, was wirklich zählt: das eigentliche Übersetzen. Das Feilen an Formulierungen. Das Finden der perfekten Entsprechung.

Wer überlebt die KI-Revolution?

Zeit für eine brutale Bestandsaufnahme. Wer muss gehen, wer darf bleiben?

Auf der Abschussliste:

Die »Ich-kann-ganz-gut-Englisch«-Fraktion. Sorry, Leute, aber eure Zeit ist um. Wenn Unternehmen die Wahl haben zwischen einem Hobby-Übersetzer für 3 Cent pro Wort und ChatGPT für 0 Cent – nun, das ist keine schwere Entscheidung.

Mit ihnen verschwinden hoffentlich auch die Billig-Agenturen. Denn wenn diese komplett auf KI umsteigen, werden ihre Kunden schnell merken: Das können wir auch selbst. Warum eine Agentur als Mittelsmann bezahlen, wenn man direkt mit der KI arbeiten kann?

Die Überlebenden:

Die Spezialisten. Der juristische und vereidigte Fachübersetzer. Die Medizinerin, die medizinische Studien in ihre Muttersprache überträgt. Der technische Übersetzer mit Ingenieurstudium, der technische Dokumentationen bearbeitet. Sie alle haben etwas, was keine KI hat: echtes Fachwissen. Sie wissen, wann ein Begriff nicht nur übersetzt, sondern angepasst werden muss. Sie kennen die rechtlichen Fallstricke, die medizinischen Feinheiten, die technischen Standards.

Die Kreativen. Transcreation ist das Zauberwort. Nicht übersetzen, sondern neu erschaffen. Eine Werbekampagne, die in den USA funktioniert, kann in Deutschland komplett daneben liegen. »Just do it« mag auf Englisch kraftvoll klingen, aber »Mach es einfach« ist auf Deutsch eher lahm. Hier braucht es Menschen, die beide Kulturen verstehen, die wissen, was ankommt und was nicht.

Die KI-Versteher. Jene unter uns, die begriffen haben: KI ist kein Feind, sondern ein Werkzeug. Die wissen, wie man einen Prompt formuliert, der mehr liefert als Wort-für-Wort-Übersetzungen. Die verschiedene KI-Tools kombinieren, trainieren, optimieren. Die aus dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine das Beste herausholen.

Das neue Berufsbild: Übersetzer 2.0

Wie sieht also unsere Zukunft aus? Düster? Nein. Anders? Definitiv.

Wir werden zu KI-Dirigenten. Wir lassen die Maschinen die Grundarbeit machen und verfeinern dann das Ergebnis. Wir sind die Qualitätskontrolle, die letzten Instanz, die sicherstellt, dass aus »The spirit is willing, but the flesh is weak« nicht »Der Schnaps ist willig, aber das Fleisch ist schwach« wird. (Ja, das ist ein echter Übersetzungsfehler aus den Anfängen der Machine Translation. Aus »spirit« = Geist wurde »spirits« = Spirituosen. Herrlich.)

Wir werden zu ewigen Studenten. Sprache entwickelt sich, Fachgebiete entwickeln sich, KI entwickelt sich. Wer stehen bleibt, wird abgehängt. Das war schon immer so, wird aber jetzt noch wichtiger. Was gestern noch »cool« war, ist heute »cringe«. Was gestern noch Stand der Technik war, ist heute überholt.

Wir werden zu Kulturvermittlern. In einer Welt, in der jeder mit drei Klicks einen Text übersetzen lassen kann, ist unser Mehrwert nicht mehr die reine Übersetzung. Es ist das Verständnis dafür, warum man in Japan dreimal ablehnen muss, bevor man ein Geschenk annimmt. Warum man in Deutschland pünktlich sein sollte, in Spanien aber lieber eine Viertelstunde später kommt. Warum »Sie« und »Du« im Deutschen so viel mehr bedeuten als nur eine Anredeform.

Wir werden zu strengen Lektoren. KI macht Fehler. Subtile, heimtückische Fehler. Fehler, die grammatikalisch korrekt aussehen, aber inhaltlich falsch sind. Ein falsches Komma in einem Vertrag kann Millionen kosten. Ein falsch übersetzter medizinischer Begriff kann Leben gefährden. Unsere Verantwortung war noch nie größer.

Und ja, wir können für all das auch angemessen bezahlt werden. Reich werden wir nicht (waren wir das jemals?), aber wir können unser Auskommen verdienen. Vielleicht sogar besser als vorher, wenn wir es richtig anstellen.

Fazit: Totgesagte leben länger

Die Prophezeiungen unseres Untergangs sind, um es mit Mark Twain zu sagen, stark übertrieben. Ja, unser Beruf verändert sich. Radikal sogar. Aber verschwinden? Nein.

Was verschwinden wird, ist der Übersetzer, der mit Wörterbuch und Rotstift bewaffnet Wort für Wort von einer Sprache in die andere überträgt. Was bleibt – und wichtiger wird denn je – ist der Sprachexperte, der Kulturvermittler, der Qualitätsgarant.

Die KI ist gekommen, um zu bleiben. Wir können uns dagegen stemmen und untergehen. Oder wir können sie umarmen, nutzen, mit ihr zusammenarbeiten. Ich habe meine Wahl getroffen. Und während ich diesen Artikel schreibe, versucht Claude um Hintergrund, ein besseres Wort zu finden als »umarmen«.

Ach ja: »sich zu eigen machen«. Danke, Claude.

Sind eure Übersetzungen eigentlich perfekt oder nur »gut genug«?

Ob ihr nun KI nutzt, eine Agentur beauftragt oder selbst Hand anlegt: Ein professionelles Paar Augen schadet nie. Ich werfe gerne einen kritischen Blick auf eure englisch-deutschen Übersetzungen und sage euch ehrlich, wo ihr steht. Keine Sorge, ich beiße nicht (nur bei wirklich grauenhaften Übersetzungen, und auch dann nur metaphorisch).

Meldet euch einfach. Den Rest klären wir dann. Und nein, für die reine Einschätzung verlange ich keine 15 Cent pro Wort. Versprochen.

Also packen wir es an – Mensch und Maschine, Hand in Hand. Oder sollte ich sagen: Finger auf Tastatur?

  • Genau meine Meinung, nur viel besser formuliert, als ich das könnte!

    (Aber die Newsletter-Banner, die auf jeder Seite neu aufpoppen, nerven ein wenig.)

    • Danke. Und danke auch für den Hinweis auf das Bannerproblem. Das habe ich jetzt auch behoben. Ich hatte den Banner neu aufgesetzt und vergessen, die Anzeige-Frequenz anzupassen. Jetzt taucht es pro Nutzer nur noch maximal einmal am Tag auf.

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    Und? Habe ich Ihr Interesse geweckt?

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