5. Februar 2025

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Wie findet man Zeit zum Schreiben?

„Ach, ich könnte auch einen Roman schreiben“, das höre ich oft auf Lesungen, „wenn ich nur die Zeit fände.“

In der Tat ist Zeit eine rare Ressource – unabhängig davon, ob man einen Roman, Kurzgeschichten, ein Blog, Gedichte oder Drehbücher verfassen möchte. So ist es selbst für mich – dabei gehört das Schreiben zu meinem Brotberuf.

Die Grundregel: Zeit hat man nicht – man nimmt sie sich

Jeder kennt das: Man hat einen freien Tag und unendlich viele Pläne. Doch am Ende des Tages sind die Sekunden, Minuten und Stunden einfach durch die Finger geronnen wie feiner Sand. Zeit ist nicht nur eine rare, sondern auch eine flüchtige Ressource. Sie optimal zu nutzen, verlangt einen Plan – und die Disziplin, ihn umzusetzen.

Überdehnte Metapher #1: Schreiben ist Sport

Ich schreibe jeden Tag. Doch noch immer finde ich mich nach einer Schreibsession in einem Zustand völliger Erschöpfung wieder – oft so schlimm, dass ich am liebsten ins Bett fallen möchte. Schreiben ist anstrengend. Ausdauersport fürs Gehirn. Und jeder Mediziner wird gerne bestätigen: Wenn man Ausdauersport betreiben will, bringt jeden Tag 30 Minuten mehr als der Marathonlauf am Wochenende. Im besten Fall bricht man den Marathon ab und lässt den Sport gleich ganz sein, im schlechtesten Fall führt dieser Weg direkt in den frühen Herztod.

Überdehnte Metapher #2: Schreiben ist Kunst

Jede Kunst braucht Praxis und Übung. Auch das Schreiben. Wer ein Instrument spielt, weiß: Jeden Tag 30 Minuten üben bringt mehr als die 8-Stunden-Session am Wochenende. Das gilt auch fürs Schreiben. Daher …

Der erste Schritt: Der richtige Zeitrahmen

30 Minuten, dafür täglich: Angesichts des eben Gesagten klingt dieser Zeitrahmen doch vernünftig, oder nicht? Viele mögen nun einwenden, dass man in dieser kurzen Zeit doch nichts schaffe, vielleicht einen Satz oder Absatz. Wenn’s hochkommt, eine Seite. Doch ein Satz pro Tag ergibt im Jahr eine längere Kurzgeschichte, ein Absatz eine Novelle – und 365 Seiten: Das ist schon ein veritabler Roman. Außerdem hindert einen ja nichts daran, die Zeit nach und nach auszudehnen.

Ich rate jedoch, mit 30 Minuten anzufangen: Eine halbe Stunde lässt sich jeden Tag finden. Sei es, dass man etwas früher aufsteht, die Mittagspause in einem Café mit dem Notebook verbringt, abends eine Fernsehserienfolge weniger sieht oder die morgendliche Zug- oder S-Bahn-Fahrt zur Arbeit nutzt.

Der zweite Schritt: Der richtige Zeitpunkt

Ich persönlich schreibe stets (okay, so oft wie möglich) früh morgens. Um halb sechs klingelt der Wecker, ca. viertel nach sechs sitze ich am Schreibtisch und schreibe bis acht. Dann ist Sport angesagt. Werktags öffne ich dann um neun mein Büro für Texte und Übersetzungen, an Wochenenden – ja, ich schreibe auch sonntags – erledige ich dann entweder anfallende Arbeiten oder schreibe weiter.

Morgens bin ich ungestört. Mein Gehirn ist noch nicht verseucht von der Sprache, die den ganzen Tag auf mich einprasselt. Und ich liebe es, zu beobachten, wie die Welt aufwacht. Außerdem beginne ich so den Arbeitstag mit dem guten Gefühl, bereits etwas geschafft (bzw. geschaffen) zu haben.

Nun gehöre ich als notorischer Frühaufsteher nicht gerade zur Mehrheit der Menschheit, wie meine Lebensgefährtin gerne bestätigen wird. Daher rate ich, zunächst einmal herauszufinden, wann die eigene beste Schreibzeit ist.

Dabei sollte man innere und äußere Faktoren bedenken: Was nützt es mir, wenn ich abends am besten schreiben kann, aber der Partner zur gleichen Zeit Aufmerksamkeit verlangt? Oder umgedreht: Die beste morgendliche Ruhe nützt nichts, wenn mir nichts einfällt. Auch unser Gehirn gehorcht gewissen Rhythmen.

In der Anfangsphase sollte man also mit den verschiedenen möglichen Zeitfenstern experimentieren, bis man den idealen Kompromiss gefunden hat.

Der dritte Schritt: Dranbleiben

Ich werde mir jetzt bestimmt nicht nur Freunde machen, aber:

Wie jede Kunst- und Sportausübung braucht auch das Schreiben Disziplin.

Ihr habt euer Zeitfenster gefunden? Gut! Dann erlaubt mir mal kurz, euer Drill-Sergeant zu sein: HALTET EUCH DRAN! JEDEN TAG!

Ja. Jeden Tag. Auch Sonn- und feiertags. Ob es regnet, stürmt oder schneit. Zumindest am Anfang. So für die ersten sechs Monate. Danach dürft ihr gerne mal einen Tag pausieren.

Warum? Sportler kennen den Effekt: Wenn man jeden Abend zur gleichen Zeit seine Laufrunde dreht und dann mal einen Abend aussetzt, wird man trotzdem spüren, wie der Körper in den Trainingsmodus wechselt: Das Herz schlägt schneller, die Muskeln werden besser durchblutet, manchmal fängt man sogar an zu schwitzen.

So ist es auch beim Schreiben: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Fordert man sein Hirn jeden Tag zur gleichen Zeit auf, Worte zu produzieren, wird es irgendwann freiwillig das Gewünschte liefern.

Für diejenigen, die es gerne etwas poetischer haben wollen:

Musen sind zurückhaltende Wesen. Sie küssen einen nicht einfach so. Man muss sie umwerben. Wenn die Muse weiß, zu welchem Zeitpunkt sie gebraucht wird, ist daher schon viel gewonnen.

Aber keine Panik: All das hört sich härter an, als es ist. Nach einer Woche habt ihr euch daran gewöhnt. Und nach drei Wochen möchte man sein tägliches Gehirn-Workout nicht mehr missen.

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Und? Habe ich Ihr Interesse geweckt?

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