5. Februar 2025

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Wie gehe ich mit einer Schreibblockade um?

All work and no play makes Jack a dull boy. Immer wieder und wieder und wieder hämmert Jack Torrance diesen Satz in seine Schreibmaschine. Mit der Hauptfigur seines Romans „Shining“ hat Stephen King ein Denkmal für den Writer’s Block, die Schreibblockade geschaffen.

Schreibblockade? „So etwas gibt es nicht!“, verkünden wohlmeinende Schreib-Coaches und Motivationstrainer allerorten, schieben ein lautes „Tschakka!“ hinterher und präsentieren dann ihr Patentrezept, dessen letzten Schritt man per eBook oder Videokurs käuflich erwerben kann.

Aber seien wir doch mal ehrlich: Das ist Bullshit. In jedem Beruf geht einem die Arbeit mal besser, mal schlechter von der Hand. Und selbstverständlich kann auch kreative Arbeit ins Stocken geraten: Da geht es uns Schreibenden auch nicht anders als Malern oder Musikern.

Glücklicherweise gibt es Mittel und Wege, solche Tiefpunkte und Durchhänger zu überwinden. Doch schauen wir erst einmal genauer hin.

Zwei Formen der Schreibblockade

Ich kenne aus eigener Erfahrung zwei Formen der Schreibblockade. Im Resultat führen beide Formen zwar zum gleichen Ergebnis – man schreibt nicht –, doch Ausgangssituation, Ursachen und somit mögliche Lösungen unterscheiden sich erheblich.

Die eine Form der Schreibblockade ergibt sich mehr oder minder direkt aus dem Projekt, an dem man gerade arbeitet: Zwar fällt einem das Schreiben im Allgemeinen nicht schwerer als sonst, doch man hat das Gefühl, festzustecken oder man ist von der Qualität des geplanten Textes nicht mehr überzeugt.

Die zweite Form ist diffuser und somit auch schwerer zu überwinden. Es gibt eben Zeiten, da fließen die Worte so zäh und eklig wie geronnene Milch. Man starrt auf den blinkenden Cursor und nichts passiert.

Doch beginnen wir bei der ersten Form. Nennen wir sie:

Die Erzählblockade

Die Erzählung stockt, die vor ein paar Tagen noch klare Reiseroute wird zunehmend verschwommen oder hat uns gar auf eine Sandbank geführt. Andere Texte gehen gut von der Hand – doch ausgerechnet der geliebte Roman will einfach keine Fortschritte machen?

Meiner Erfahrung nach gibt es dafür vor allem vier Ursachen und – das ist die gute Nachricht – mögliche Lösungen.

Ursache #1: Man hat sich dramaturgisch in eine Sachgasse manövriert.

Die Handlung kommt ins Stocken oder – noch schlimmer – beginnt sich im Kreis zu drehen. Der Protagonist kommt einfach keinen Schritt weiter und versinkt immer mehr im Treibsand der Banalitäten? In allen sieben Romanen, die ich bisher geschrieben habe, habe ich genau vor diesem Problem gestanden. Und die Ursache war jedes Mal die Gleiche: Ich habe die falsche Abzweigung genommen – und zwar deutlich vor der Stelle, an der ich ins Stocken geraten bin –, sei es durch einen Fehler im ursprünglichen Plot, sei es, weil ich mich von einer spontanen Idee habe verführen lassen. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als meinen Weg rückwärts zu gehen, bis ich den Fehler gefunden habe – so wie man es eben macht, wenn man sich verirrt: Google Maps für Texte ist ja bisher noch nicht erfunden.

Ich gehe in so einem Fall zunächst einmal zehn Seiten zurück und suche den Fehler. Kann ich ihn nicht finden, gehe ich noch einmal zehn Seiten zurück, dann noch einmal und so weiter. Hat man den Fehler einmal gefunden, ist das zwar ärgerlich, weil man nun sehr viele geschriebene Seiten dem Papierkorb überantworten kann. Andererseits lässt sich das Problem meist recht einfach lösen.

In „Damenopfer“, dem vierten Katharina-Klein-Krimi, musste ich sogar bis fast an den Anfang des Buches zurückgehen. Die Lösung war jedoch so einfach wie radikal: Ich hatte Katharina ursprünglich einen Liebhaber gegeben – und ihr so die von ihr langersehnte sexuelle Entspannung verschafft; doch diese neue Figur zog sehr viel Energie an sich und brachte zudem das diffizile Beziehungsgleichgewicht zwischen meinen beiden Protagonisten durcheinander – leider genau im falschen Moment. So muss Katharina denn bis auf weiteres im Zölibat ausharren. Dafür entstand eine äußerst wichtige Szene. Für die Insider: das nächtliche Gespräch zwischen Katharina Klein und Andreas Amendt in Katharinas Küche.

Kann man die Ursache durch das Zurückgehen übrigens nicht finden, ist die aktuelle Szene vielleicht gerade zu knifflig zu schreiben. Mir passiert das, wenn diese Szene eigentlich die Grundlage für entscheidende spätere Ereignisse legen soll, über deren Ablauf ich mir aber noch nicht so ganz im Klaren bin. In diesem Fall mache ich mir eine Notiz im Text und schreibe die nachfolgende Szene: Das geht natürlich nur, wenn man den Text halbwegs sauber geplant hat.

Und zuletzt möchte ich einen meiner häufigsten dramaturgischen Fehler nicht unerwähnt lassen: Dass eine Szene schwer von der Hand geht, mag auch daran liegen, dass sie überflüssig ist. Bei „Damenopfer“ habe ich mich durch mindestens zwanzig Seiten Exposition gequält, in der ich Katharina auf dem Weg zu ihrem ersten Arbeitstag in der neuen Sonderermittlungseinheit begleitet habe: eine klassische „Was bisher geschah“-Szene, um Figuren und Handlung einzuführen. Zeile um Zeile habe ich mich durch den Morast der Langeweile vorwärtsgekämpft, bin endlich dort angekommen, wo ich hinwollte … nur, um dann festzustellen, dass die Szene überflüssig ist: Die wenigen Informationen, die ein Leser wirklich braucht, ließen sich später sehr viel geschickter integrieren.

Ursache #2: Man hat die Freude oder den Faden verloren.

Das passiert mir gerne, wenn ich zwangsweise eine längere Pause in der Arbeit an einem Text einlegen muss, sei es aus Krankheit oder aus beruflichen Verpflichtungen. So ging es mir in meinem aktuellen Projekt gleich mehrfach. Die Lösung war glücklicherweise recht einfach: Ich habe das bereits Geschriebene noch einmal überarbeitet. Glücklicherweise hatte ich auch einen Anlass: Ich wollte ohnehin eine Rahmenhandlung eliminieren (wieder so eine falsche Abzweigung, die mich später in Schwierigkeiten gebracht hätte) und den Text ins Präsens setzen. So war ich gezwungen, Satz für Satz durch den Text zu gehen. Am Schluss dieser Arbeitsphase war ich dann wieder drin und hatte auch die Freude am Projekt wiedergefunden.

Schreibratgeber raten zwar davon ab, während des Schreibens zu überarbeiten, aber (a) wer hält sich daran? Und (b) wer sagt, dass sie recht haben?

Ursache #3: Man empfindet den eigenen Text als schlecht oder läppisch.

Lieber Freund, lass dir gesagt sein: Das geht wohl jedem Autor auf der Welt so, sofern er einen Funken Fähigkeit zur Selbstkritik besitzt. Auch mein aktuelles Romanprojekt hätte ich wohl eingestellt, wenn nicht meine Lebensgefährtin gedrängelt hätte. In solch einem Fall ist extrinsische Motivation hilfreich. Hat man keinen Buchvertrag und damit einen fixen Abgabetermin (nichts hilft bei mir so gut gegen Schreibblockaden wie eine heranrasende Deadline), hilft manchmal aufbauendes Feedback von außen. Ansonsten: Appetit kommt beim Essen.

Ursache #4: Manchmal (wenn auch selten) bekommt man einen Stoff wirklich nicht in den Griff.

„Gott erlegt dir nicht mehr auf, als du ertragen oder bewältigen kannst“, verkünden die Dem-lieben-Gottchen-am-Zeh-Knabberer gern. Worte, die in den Ohren eines chronisch kranken Atheisten mehr als hohl klingen. Ja, es gibt Situationen im Leben, die man nicht bewältigen kann. Und so gibt es auch literarische Stoffe, die man nicht in den Griff bekommt, sei es, weil das Handwerk noch nicht ausreicht, sei es, weil man sich für ein falsches Medium entschieden hat – oder schlicht, weil der Stoff bei aller Liebe nichts taugt. Das kommt vor. Hat man das Gefühl, vor so einer Situation zu stehen, lohnt sich externes Feedback. Oder man legt das Projekt in die Schublade und wendet sich anderen Dingen zu. Davon geht die Welt auch nicht unter.

Kommen wir jetzt zur zweiten Form der Schreibblockade. Nennen wir sie ….

Die Schreibblockade

Okay, meine Pointen waren auch schon mal besser. Aber zunächst ein paar Worte zur Beruhigung: Es ist, kosmisch betrachtet, keine große Sache, wenn man mal ein paar Tage nicht schreiben kann. Bei allen Bemühungen, das Tief zu überwinden: Macht euch im Zweifelsfalle locker. Krampf macht die Situation nur schlimmer.

Lieber sollte man entspannt in sich hineinhören und so den Grund für die Blockade herausfinden. Vielleicht ist es Stress im Beruf, vielleicht ein privates Problem. Vielleicht ist es aber auch einfach der innere Schweinehund, der einen mit den Verlockungen des Alltags vom Schreiben abhält.

Den inneren Schweinehund austricksen – mit paradoxer Psychologie

Schauspieler beherrschen die Taktik aus dem FF, ein guter Freund von mir hat sie bei der Bundeswehr zur Perfektion entwickelt: „Widerstand durch Soll-Übererfüllung“. Man führt einen Befehl exakt aus – und übertreibt gerade so viel, dass man noch im Rahmen des Akzeptablen bleibt, gleichzeitig die Vorgabe ad absurdum führt.

Diese Taktik hilft auch im Kampf gegen den inneren Schweinehund. Er will nicht schreiben? Gut! Dann darf er ab sofort nicht schreiben. Hausarbeit will ja auch erledigt werden. Ihr werdet sehen, wie schnell der innere Schweinehund dann doch das Schreiben vorzieht.

Versagensangst

Meiner Erfahrung nach ist Versagensangst die zweithäufigste Ursache für eine Schreibblockade. Sie ist allen Schreibenden – veröffentlicht oder unveröffentlicht – nicht fremd. Natürlich nur, sofern sie zur Selbstkritik fähig sind; von sich selbst überzuckerte Narzissten gibt es in jeder Branche – oft leider mit einem beneidenswerten Verkaufstalent ausgestattet.

Gegen die Versagensangst gibt es zudem kein wirksames Mittel außer aufbauendem Feedback – das aber auch erst möglich ist, wenn man tatsächlich etwas geschrieben hat.

Hier kann ich nur raten, sich Hemingways Ausspruch „Die erste Fassung von allem ist Scheiße“ zu Herzen zu nehmen und zu akzeptieren, dass man erst mal schlecht schreibt; reparieren lässt sich das Geschriebene später immer noch. Und mit etwas Glück geht es euch so wie mir: Schreiben ist für mich so erfüllend, dass ich mich letztlich durch so einen Durchhänger durchkämpfen kann. Und oft ist das, was ich in dieser Zeit geschrieben habe, dann doch gar nicht so schlecht.

Patentrezept Langeweile

Ich möchte diesen Artikel dann aber doch positiv beschließen – und zwar mit einem Patentrezept:

Es fußt auf der simplen Beobachtung, dass viele große Werke der Weltliteratur ihren Ausgang in der endlosen Langeweile des Krankenbetts oder der Gefängniszelle genommen haben. Viele Autoren haben die im übertragenen oder realen Sinn klösterliche Kargheit sogar bewusst gesucht, um zu schreiben. Andere Autoren machen endlose Wanderungen und Spaziergänge, bei denen sie allein mit sich und ihren Gedanken sind.

Denn die Wahrheit ist: Langeweile inspiriert. Unser Hirn braucht Beschäftigung. Ablenkung. Erhält es die nicht von außen, beginnt die Fantasie zu arbeiten. Erfolgreiche Autoren wissen das – und machen es sich zunutze.

Nur, leider, leider, haben wir unsere Welt mit Ablenkungen angefüllt, die Langeweile verhindern sollen; viele von uns gehen ja nicht einmal mehr aufs Klo ohne ihr Smartphone.  Die kleinen bunten Bildschirme haben den kontemplativen Blick aus dem Fenster abgelöst. An Langeweile sind wir heute nicht mehr gewöhnt; wir betrachten sie als Todfeind.

Doch gerade die Macht der Langeweile können wir auch nutzen, um uns zum Schreiben zu bewegen:

TuGarNix™ – die Übung

Okay, es ist wieder euer Schreibfenster. Ihr setzt euch also an euren Schreibplatz, Textverarbeitung oder Stift und Block bereit zum Losschreiben. Stellt euch jetzt einen Kurzzeitwecker, der am Ende eures Zeitfensters klingelt. Und dann …

… tut ihr gar nichts. Nicht lesen. Kein Internet. Keine Musik. Kein Fernsehen. Das Einzige, was ihr in dieser Zeit machen dürft, ist schreiben. Ansonsten seid ihr dazu verdammt, still auf eurem Platz zu sitzen und nichts zu tun. Gar nichts. Absolut nichts. Spürt ihr allein schon beim Gedanken daran die schwarze Front der Langeweile heraufziehen? Gut!

Ich wette mich euch: Fünf Minuten. Zehn Minuten. Dann haltet ihr es nicht mehr aus. Die Worte fließen. Und wenn der Kurzzeitwecker klingelt, werdet ihr ihn verfluchen!

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Und? Habe ich Ihr Interesse geweckt?

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